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Führung durch die Mitarbeiter: Die größten Irrtümer über agiles Management

In einem Handelsblatt online Artikel der Rubrik Karriere  vom 20.06.2019 beschreibt Claudia Obmann die größten
Irrtümer über agiles Management.

In ihrem Artikel beschreibt Claudia Obmann, welche Auswirkungen der Ruf nach mehr Freiheit – ohne Hierarchien – haben kann, wenn klassische Strukturen abgebaut werden, ohne ein in sich schlüssiges agiles System installiert zu haben. Ferner geht sie auf ihrer Meinung nach wichtigsten Stolperfallen ein, die bei der Agilisierung von Organisationen zu bedenken sind:

Irrtum 1: Selbstorganisation ist was für alle – Die Gefahr: Selbstorganisation überfordert viele Mitarbeiter

Irrtum 2: Selbstorganisation ist gleich Selbstverwirklichung – Die Gefahr: Jeder macht, was er will, die unbeliebten Aufgaben bleiben liegen

Irrtum 3: Arbeiten ohne Chef heißt ɐührungslos – Die Gefahr: Ohne Chefs drohen Verzettelung und Ineffizienz

Der Artikel zeigt meines Erachtens ein Kernproblem der Agilisierung von Organisationen auf: Agilität wird viel zu häufig auf das Thema Mindset reduziert. Nach dem Motto, es wird schon funktionieren… wird nach einigen Agile Trainings und Mindset Coachings begonnen, Teams zu bilden und hierarchische Strukturen einzureißen. Dabei wird oft verkannt, dass vor allem in größeren agilen Organisationen die Rolle des ehemaligen Mittelmanagements – Koordination des Informationsflusses zwischen Personengruppen – nicht ohne weiteres von autonomen Teams übernommen werden kann.
Im Artikel wird u.a. auf Laloux verwiesen: „Wer auf einmal hierarchische Strukturen und Systeme abbaut, aber keine neuen schafft, die künftig vorgeben, wie sich selbstgesteuerte Teams bilden, wie Rollen definiert und zugewiesen werden, wie man zu einem Job kommt oder ihn wieder verliert und wie Entscheidungen getroffen werden, landet geradewegs im Chaos.“

Diese Erfahrung und Einschätzung teile ich. Agile ist zu einem erheblichen Anteil eine Frage des Mindsets aber letzten Endes ist Agilität ein System und zwar eines, dass Mitdenker aktiviert, sich voll einzubringen und ihr Unternehmen nach vorn zu bringen. Hierarchische Organisationsstrukturen leisten dies in den schnelllebigen und komplexen Märkten nicht mehr. Aber hierarchische Strukturen einzureißen ohne neue, agile Teamstrukturen als System (inkl. agilem Mindset) etabliert zu haben, ist kritisch!

Noch deutlicher wird dies im Artikel durch folgendes Zitat: Vor zunehmenden Machtkämpfen aufgrund unklarer Zuständigkeiten und wachsender interner Komplexität warnt auch Stefan Kühl, Organisationssoziologe der Uni Bielefeld: „Ob allumfassende Lösungen nun Lean Management oder agile Organisation heißen, sämtliche Modelle kranken an dem immer gleichen Faktor: der Koordination der autonomen Einheiten untereinander, aber auch mit der übrigen Organisation.“

Genau hier liegt der Hase im Pfeffer und mit Agile Mindset allein ist das nicht zu lösen! Teams müssen nicht nur interdisziplinär aufgestellt, sie müssen auch auf Selbstorganisation und Autonomie hin aufgebaut werden. Entscheidungsfähigkeit im Team entsteht durch das Zusammenbringen der Kompetenzen und vor allem durch Hintergrundwissen aus der direkten Zusammenarbeit. Je mehr autonome Teams in einer Organisation zusammenarbeiten, je mehr agile Serviceeinheiten wie strategischer Einkauf, Qualitätsmanagement, Human Resource, Finance etc. in die Abstimmungen zu integrieren sind, desto kritischer wird der Faktor Alignment – früher eine klassische Rolle des Mittelmanagements.

Wird das Sicherstellen des Alignments in größeren agilen Organisationen wieder einzelnen Personen überlassen, die zwischen den Teams vermitteln, also wie das Mittelmanagement in der hierarchischen Organisation als Infobroker statt zwischen Abteilungen nun zwischen den autonomen Teams offene Punkte treiben, Entscheidungen herbeiführen etc. ist es mit der Team-Autonomie sofort wieder vorbei und das von Laloux angedeutete Chaos hält Einzug in den Agilisierungsversuch.

Der Artikel ist ein Plädoyer für Agilität. Leider enthält er mit seinen aufgezeigten Irrtümern und „Praxisbeispielen“ aus meiner Sicht keinerlei Lösungsvorschläge für dieses tatsächlich vordringliche Problem des Alignments zwischen autonomen Teams.

Auch die gängigen Methoden zum Scalieren von Agilität wie SAFe, LeSS oder Squatification greifen hier unserer Erfahrung nach zu kurz.
Je größer die Anzahl der organisatorischen Einheiten zur agilen Zusammenarbeit wird, desto wichtiger wird es, das Alignment zwischen diesen autonomen Einheiten abzusichern. Dies über eine „neue Art Mittelmanagement“ zu versuchen, die wieder in Synchronisations-Meetings sitzen und Agenden herum schicken und Protokolle schreiben, untergräbt die Teamautonomie!

Vielmehr gilt es, ein weiteres wichtiges Prinzip der Zusammenarbeit zu hinterfragen und ebenfalls radikal zu drehen: Das Prinzip der Kommunikation. Um Alignment sicherzustellen müssen wir aufhören, Informationen bei Personen zu platzieren sondern diese – so wie auch die Verantwortung – in den Teams belassen.
Was bedeutet das?
Agilität funktioniert zum einen mit Karten, auf denen die Arbeit aufgeschrieben und transparent gemacht wird. Zum anderen durch eine immer wiederkehrende Meetingfolge, die den Iterationen (Sprints) Struktur gibt. In allen Meetings der Teams (Sprint Planning – Daily Standup – Sprint Review – Sprint Retrospektive) wird mit diesen Karten gearbeitet. Gemeinsam wird jeweils der nächste Schritt besprochen, die Aufgabe sodann individuell weiter bearbeitet. Dieses Vorgehen fokussiert die Teams auf Themen. Werden alle Informationen zu dieser „Arbeit“ auf der Karte hinterlegt, entsteht ein Lösungsweg zur Aufgabe. Die einzelnen Einträge in der Karte sind vernetztes Wissen der Teammitglieder. Folgt das Team diesem Prinzip konsequent, arbeitet jeder an Lösungen statt nach Informationen für seine Aufgaben zu suchen.

Um Abstimmungen zwischen den autonom agierenden Einheiten sicherzustellen, muss die Meetingstruktur der Teams um weitere Alignment-Meetings ergänzt werden. Und auch in diesen Meetings muss mit den gleichen Karten der Teams gearbeitet werden! Alle Ergebnisse von Abstimmungen sind direkt in den Karten der Teams zu notieren und dürfen nicht in schwarzen Notizbüchern der Meetingteilnehmer oder in Protokollen zum nachträglichen Versandt per eMail verschwinden.
So wird das Besprechungsergebnis auch zum Teil des Lösungsweges und steht dem Team sofort zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung.

Auf diese Weise wird das agile Arbeitsumfeld der autonomen Teams um die Komponente effektives Alignment ergänzt, ohne dass Informationen verloren gehen oder über Personen nach dem „stille Post-Prinzip“ transportiert werden müssen.

Der einfachste Weg, in unseren entstehenden agilen Organisationen ein derartiges Arbeitsumfeld bereitzustellen, in dem Informationen themen- und nicht personenbezogen verarbeitet werden können, ist die konsequente Digitalisierung und Vernetzung von Wissen auf einer dafür eingerichteten Kollaborationsplattform – dem Handwerkszeug agiler Teams. Hier bieten sich Werkzeuge wie Atlassian Jira oder Asana etc. an, die allerdings zur agilen Kollaborations-Plattform ausgebaut werden müssen.
Agilität ist kein Toolthema. Das ist sicher! Die Effektivität von agilen Strukturen wird – wie oben beschrieben – durch Digitalisierung und Vernetzung jedoch erheblich geboostet.

Erst das Zusammenspiel von Agilem Mindset, interdisziplinären Teamstrukturen, agilen Prozessen wie Meeting-Management, durchgängiger Infostruktur und einer Kollaborations-Plattform ergeben das agile System, mit dem die heutigen hierarchischen Organisationsstrukturen auf die aktuelle Evolutionsstufe der Zusammenarbeit – agile Teamorganisation – gehoben werden können.

 

Zum Autor:

Rainer Borg hat sich nach 10 Jahren Beratungs- und Aufbauarbeit in einer großen Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung sowie als Vorstand eines Startup ganz dem Thema Scaled Agile Collaboration in der Organisations- und Produktentwicklung verschrieben.

Mit fundierter Kompetenz bzgl. Scaled Agile Enterprise Architekturen dimensioniert er Agilität vom einzelnen Team bis hin zur gesamten Unternehmensgruppe.

Seine Passion ist, Unternehmen in ihrem Wandel zu begleiten, Strukturen zu initiieren, die es zum einen dem Management ermöglichen, Komplexität von Veränderungsinitiativen zu beherrschen und zu steuern, zum anderen den Mitarbeitern ermöglichen, sich einzubringen und das Unternehmen aktiv mitzugestalten.

Mike Mejstrik

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