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Konjunktive feiern Hochkonjunktur

Interessante Vorträge gab es beim Digital FutureCongress in Frankfurt. Doch viele Aussteller scheinen nicht zu verstehen, welche Umwälzungen anstehen.

In der vergangenen Woche fand der 7. Digital FutureCongress im Congress Center der Messe Frankfurt statt. Zuerst einmal Respekt und ein dickes Lob dafür, was Michael Mattis mit einem kleinen Team von der AMC Media Network wieder auf die Beine gestellt hat! Fünf Bühnen, interessante Keynotes und auf zwei Ebenen Aussteller, die sich des Themas Digital Future angenommen haben oder sich zumindest irgendwie zuständig fühlten.
Organisation und Rahmen für die Veranstaltung haben gepasst und waren meiner Meinung nach der Wichtigkeit des Themas würdig.

140 Aussteller und 50 Speaker sind angetreten, die laut Veranstalter rund 3500 Kongressbesucher für das Thema Digitalisierung und Agilisierung zu sensibilisieren sowie in Gesprächen gemeinsam Möglichkeiten der Unterstützung zu sondieren.
Die Interessenten fanden einen Ort der Begegnung für die gegenseitige geistige Befruchtung vor.

Namhafte Keynote-Speaker wie Dr. Markus Pfuhl, Chief Digital Officer der Viessmann Gruppe, Manfred Rieck, VP DB Systel oder Dr. Roland Krieg, CIO der Fraport AG, erläuterten den Zuhörern den aktuellen Stand der digitalen Transformation in ihren Unternehmen. Für mich von besonderem Interesse war der Beitrag von Dr. Pfuhl. Hatte er doch schon auf dem 5. Kongress vor zwei Jahren die Digitalisierungsstrategie von Viessmann vorgestellt und nun ein Update zur Digitalisierung angekündigt. Smart und eloquent trug er die Agilisierungs-Roadmap bestehend aus Awareness, Enablement, Execution und Institutionalisierung samt Erfolgen und Fallstricken vor.
Auch weitere Redner machten deutlich, dass sich das ein oder andere Unternehmen bereits auf den Weg in die digitale Zukunft gemacht hat.

Mit einigen Mitgliedern unserer kyonauten Community (agile Kollaboration von KMU‘s und freiberuflichen Agilisten rund um die kyona Unternehmensgruppe) dürfen wir die Produktentwicklungen eines Teils der vorgestellten digitalen Transformationen in der Umsetzung unterstützen. Nicht alles funktioniert auf Anhieb, Widerstände besonders im Mittelmanagement erzeugen Reibungsverluste, aber es geht voran. Auch wenn der Weg zur agilen Organisation sicherlich noch ein weiter ist.

Was mich allerdings enttäuscht, ja geradezu frustriert hat, war die Versammlung der ausstellenden „Treiber der Digitalisierung“, die auf zwei Ebenen ihre Stände aufgebaut hatten. Der Eindruck, der bei mir hängen blieb: Dieselben Unternehmen, dieselben Stände, ja sogar dieselben Gesichter wie vor fünf oder zehn Jahren (länger als der Kongress besteht). Nur jetzt steht vor jedem Slogan „Digital“:
Digital ERP, Digitales Dokumenten Management, Digitales Rechnungswesen. Echt jetzt?

Wir bezeichnen Digitalisierung als dritte industrielle Revolution. Sie bringt seit Ende der 90er Jahre erhebliche Effizienzsteigerungen. Künstliche Intelligenz (KI) ist ein aussichtsreicher Teilbereich, der durch die nun bereits rollende vierte industrielle Revolution, der Vernetzung, richtig zur Geltung kommen wird. Vernetzung boostet die Digitalisierung brutal. Sie ermöglicht Plattformbusiness. Plattformen sind es, die durch dramatische Effizienzsteigerungen umwälzenden Charakter haben und in Deutschland und Europa einer Branche nach der anderen das Wasser abgraben.
Wir kennen sie alle: Amazon, Ebay, booking.com, Uber.
Von den 20 umsatzstärksten digitalen Handelsplattformen sind zwölf in amerikanischer, acht in chinesischer Hand. Keine europäische, geschweige denn eine deutsche Plattform darunter. Und wir präsentieren uns dem digitalisierungsgeneigten Publikum auf diese Weise?
Was bei uns Branche für Branche geschehen wird, ist nicht nur am Hotelbusiness bereits perfekt nachzuvollziehen:

Vor fünf bis sieben Jahren wurden Hotelbuchungsplattformen envogue. Unsere Hoteliers präsentierten ihre Häuser auf den Plattformen, um Zusatzauslastung zu generieren. booking.com war (und ist) der Platzhirsch. Die Marge, rund fünf Prozent wanderte in die USA.
Heute recherchiert (fast) jeder Unterkunftssuchende über eine Buchungsplattform. Wer ruft denn noch beim Fremdenverkehrsamt an oder geht in ein Reisebüro, wenn er ein Zimmer in einem Ort sucht, an dem er zuvor noch nicht war?
Kein Hotelier kann es sich mehr leisten, auf  Plattformen zu verzichten. Volle Angebotstransparenz mit Verfügbarkeiten, Preisen und Bildern führen bei unseren mittelständischen Hotel-Unternehmen zu einem erheblichen Renovierungs- und Preisdruck. Die Margen für die Hoteliers sinken, die der Plattformen steigen – und erhöhen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA.
Der Hotelier wird zum Commodityanbieter, der seine Ware bzw. Dienstleistung unter eine amerikanische Plattform hängen muss und die Marge in die USA oder nach China abführt.
Das ist die Zukunft unseres deutschen Mittelstandes!
Das amerikanische Landwirtschaftsministerium hat kürzlich eine Prognose veröffentlicht, die für die USA eine knappe Versechsfachung des Bruttoinlandsproduktes bis 2030 ausweist. Uns Deutschen trauen die Amerikaner hier nicht einmal eine Verdopplung zu! (rund 70 Prozent Steigerung)
Damit wird Deutschland in der Liste führender Industrienationen Jahr für Jahr nach unten durchgereicht.
Dreimal dürfen Sie raten, warum!

Die Landwirtschaft zum Beispiel  ist ein Treiber der Digitalisierung über Plattformen. Die aussichtsreichste Agrarplattform ist wohl die von John Deere, natürlich in amerikanischer Hand. Ein aussichtsreicher Verfolger war die Plattform von Bayer. Die amerikanische Kartellbehörde machte für die Genehmigung der Fusion mit Monsanto zur Auflage, dass Bayer sich von der Digital-Plattform trennen muss. Merken Sie was? Jeder Kauf bei Amazon weltweit, jede Taxifahrt mit Uber weltweit, jede Nutzung des Streamingdienstes Apple Music weltweit erhöht den Wohlstand in den USA.

Und hier bei uns? Wenn die Unternehmen, die auf diesem Digital FutureCongress ausgestellt haben, die digitale Zukunft Deutschlands darstellen, sehe ich ehrlich gesagt schwarz für unsere Wirtschaft.
Verstehen Sie mich bitte richtig, nichts gegen die anwesenden Aussteller im Speziellen. Ich möchte niemandem persönlich zu nahe treten. Mir geht es um Prinzipielles.
Wenn meine Kollegen und ich die Aussteller auf diese Herausforderungen angesprochen haben, bekamen wir zwar viel Zustimmung. Jedoch immer verbunden mit den Ergänzungen „man müsste“, „man könnte“. Konjunktive hatten Hochkonjunktur. Es gab wenig Konkretes.

In einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des hessischen Wirtschaftsministeriums (u.a. zuständig für die Verteilung von Fördergeldern für die Digitalisierung Hessens), habe ich meine Enttäuschung nicht zurückhalten können. Er stimmte meiner Einschätzung zu, wirkte aber etwas resigniert und hatte letztlich auch keinen Lösungsansatz. Er erzählte von einer aktuellen Förderung des Landes Hessen, die 10.000.-Euro-weise an KMUs für Digitalisierungsprojekte ausgegeben wird. Die Nachfrage nach dieser Förderung sei so groß gewesen, dass sie erst einmal wieder ausgesetzt werden musste, um die Flut der eingegangenen Anträge bearbeiten zu können. Die als Antragsgrund überwiegend angegebene geplante Initiative: Von papiergestützter Abwicklung auf Computerprogramm-gestützte Abläufe umstellen.

Der Tsunami, der mit Digitalisierung und Vernetzung auf Europa, auf Deutschland zuläuft, wird anscheinend von den wenigsten verstanden und ist deshalb nicht im Bewusstsein der Betroffenen.

Ich bin der Meinung, wir brauchen hier mehr als Marketingpräsentationen großer Unternehmen, die sich den Hochglanzfolien entsprechend bereits auf den Weg zur agilen Organisation gemacht haben.
Wir brauchen vor allem drastische Weckrufe, die den Zuhören jenseits der „alles wird komplexer, neue-Player-im-Markt etc.-Warnungen“ anhand von konkreten Beispielen aufzeigen, was in unseren Märkten und Unternehmen bald abgehen wird, was es für den Einzelnen bedeutet und was wir jetzt tun können, um mit unserem Potenzial hier nicht nur als Commodity-Lieferanten für Übersee-Plattformen mitspielen zu dürfen.

Wir brauchen für Konferenzbesucher wie für die Mitarbeiter unserer Unternehmen verständliche Informationen, warum eine agile Aufstellung unserer Unternehmen so wichtig ist, warum sie das auf die Zukunft vorbereitet. Wir müssen greifbare Lösungsansätze vermitteln, wie jeder mithelfen kann, seine Organisation in Richtung digitaler Zukunft zu bewegen. Vor allem müssen wir herausstellen, dass wir aufholen und mitspielen können, wenn wir uns jetzt darum kümmern. Sorge vor der digitalen, vernetzten Zukunft brauchen sich nur die zu machen, die nichts tun und abwarten.

Gerne empfehle ich mich in diesem Zusammenhang als „Rufer in der Wüste“:
http://kyonagroup.com/kyona-agile-keynote/

 

Zum Autor:

Rainer Borg hat sich nach 10 Jahren Beratungs- und Aufbauarbeit in einer großen Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung sowie als Vorstand eines Startup ganz dem Thema Scaled Agile Collaboration in der Organisations- und Produktentwicklung verschrieben.

Mit fundierter Kompetenz bzgl. Scaled Agile Enterprise Architekturen dimensioniert er Agilität vom einzelnen Team bis hin zur gesamten Unternehmensgruppe.

Seine Passion ist, Unternehmen in ihrem Wandel zu begleiten, Strukturen zu initiieren, die es zum einen dem Management ermöglichen, Komplexität von Veränderungsinitiativen zu beherrschen und zu steuern, zum anderen den Mitarbeitern ermöglichen, sich einzubringen und das Unternehmen aktiv mitzugestalten.